27 Mai, 2007

Der Fall: Episode 7

Es ist eine relative innere Ruhe eingekehrt. Über die Unfallursache musste ich nicht mehr nachdenken. Diese war mir von Anfang an klar. Es fehlten nur noch die Fotos vom Unfallort, die ich mir jetzt in Ruhe anschaute.

Die wesentlichen zwei Bilder sind was geworden. Das eine bewies den Grund, das zweite, dass ich intuitiv richtig gehandelt hatte, als nichts mehr zu retten war.




Die Lust beim Bergfahren resultiert aus der brachialen Beschleunigung bergauf, die man im Minutenabstand auskosten kann, aus der Wahl der richtigen Linie und Kurvengeschwindigkeit im Verhältnis zu Reifentyp- und Temperatur, Fahrbahnbelag, Fahrbahnneigung, Kurvenradius, -Länge, der zur Verfügung stehende Platz und Einfluggeschwindigkeit. Das Bremspunktsetzen und dann das brutale Bremsen, um nur keinen Meter zu viel zu verschenken, ist geade beim Bergabfahren über Serpentinen wie Fallschirmspringen, bei dem in ganz kurzen Abständen durchs Beschleunigen abgesprungen und das Reißleine-Ziehen im allerletzten Moment zelebriert wird - sonst schlägt man ein. Kein Raum für Unvorhergesehenes.

In meinem "Fall" riss die Reißleine.

Was sind schon Rentner-Fahrkrücken wie ABS, ASR, ESP und EMP (nee, das war was anderes) gegen Eriks geniales System, die Bremse nach erkannter Überlastung einfach abzuschalten. Dieses System funktionierte perfekt. Schlagartig kein Druck im System, und das mit einer solch stählernen Konsequenz, dass selbst schnelles Pumpen nichts mehr brachte. Das hatte ich zwar schon bei Buell mehrmals erlebt, aber immer mit Ankündigung.

Die Rechtskehre kam rasant näher.

Wie als Kind schon mit dem Fahrrad, später per Enduro zur Verkürzung des Bremswegs auf Schotter geübt und natürlich zum Erzeugen brutaler Geräusche und Staub, blockierte ich die hintere Bremse und drückte das Hinterrad nach links außen, um möglichst seitlich und nicht frontal einzuschlagen. Auf der allerletzten Rille die Kurve zu nehmen, wäre nur mit der eigentlich geplanten Brutalbremsung möglich gewesen. Größerer Radius ging auch nicht, weil er wegen festgestelltem fehlenden Gegenverkehrs schon extrem großzügig war. Also wenigstens seitwärts rein in die Planke.

Der Fall: Episode 6

Es ist zwar erst Samstag, dachte sich Houdini, aber packen wir ihn mal schon versandfertig ein. Dann haben wir keine Mühe mehr, wenn Montag die Post geht.

In der Ecke klingelt ein Telefon. Meins. Peinlich, soll man doch in Krankenhäusern ausmachen. Man bringt es mir. Ralf aus Düsseldorf dran: "Na, wie geht's Dir?" - "Geht so. Werde gerade eingegipst".

Es wurden dicke Batzen aus dem Gipsbottich geholt, die Knochen irgendwie hinsortiert und nochmal geröntgt. Anschließend wurde der Liebsten schonend vermittelt, dass eigentlich schon alles vorbei ist und ich mich auf dem Wege der Besserung befände. Dabei war ich noch nicht mal auf dem Weg zum Krankenzimmer.

Dann kam die nun doch noch wiederverwendbare Kleidung zusammen mit dem Tankrucksack (Vorsicht! Voller Werkzeug und elektronischem Spielzeug!) in einen großen Müllsack und ich zusammen mit ihm in den Fahrstuhl und von dort ins Zimmer. Umbetten ist sehr schmerzhaft. Dieser willenlose Fuß klappte immer wieder zur Seite. Klick-Klack an den Tropf, ein lange nicht mehr gesehenes Quecksilberthermometer immerhin in die Achselhöhle geklemmt. Viele Schwestern wuselten rum, ziemlich multikulti, aber alle nur italienisch sprechend (wahrscheinlich auch Filipino, Thai und rumänisch).

Habe mir noch Handy, PDA und Digiknipse geben lassen. TV lief natürlich.

Italienisches Fernsehen ist Folter. Selbst wenn man nicht hinschaut. Überdrehte Stimmen treten in den Schlag auf Schlag folgenden Shows auf und überschütten sich eigentlich nur mit gegenseitigen Komplimenten. Meinem bedauernswerten Bettnachbarn, der sich gerade 4 Finger abgefräst hatte, wollte ich nicht die Freude nehmen.

Ein Blick zum Fenster raus. Dort hat man eine große Postkarte in den Fensterausschnitt geschoben. Im Vordergrund zwei Lärchen (keine Vögel), dahinter Dolomitenpanorama mit Schnee auf den Spitzen. Die Postkarte wurde sogar mehrmals täglich ausgetauscht, was an unterschiedlichem Lichteinfall erkenntlich war - und das sogar stufenlos!

Der Fall: Episode 5

Dort erwartete uns ein Arzt, der glücklicherweise ein wenig deutsch sprach, sehr zurückhaltend - fast cool - war und wahrscheinlich aus dem persischen oder arabischen Kulturkreis stammte. Nennen wir ihn Houdini.

Er, drei Schwestern aus aller Herren Länder und der Hausmeister standen im halbdunklen um mich herum und klopften überall mal. Da nur beim Klopfen aufs linke Bein das Lächeln aus meinem Gesicht schwand (meine Fresse, hätte ich schreien können!), stand fest, dass Hose und Stiefel runter müssen. Ich machte mit den Fingern als Zeichen, dass sie alles aufschneiden sollen, das Schnipp-Schnapp einer Schere nach, was empört zurückgewiesen wurde.

Vier Kletts und zwei Reißverschlüsse offen - und der linke Stiefel saß immer noch bombenfest. Beim Ziehen merkte ich, wie sich die gebrochen Knochenteile voneinander entfernten und machte wieder die hektischen Scheren-Bewegungen. NO!

Drehen ging auch nicht. Der Fuß drehte einfach mit. Also schlüpfte die eine Schwester mit ihrem schmalen Thai-Händchen in den Stiefel und hebelte den Fuß raus.

Man weigerte sich ebenfalls, die Hose aufzuschneiden. Wahrscheinlich war kein Bolzenschneider zur Hand. Mein gutes altes Teil! Hat mich schon 12 Jahre beschützt, besteht aus richtig dickem Mammutleder oder so, war mal schwarz, aber an den Stellen, wo viel Sonne und wenig Lederfett hinkamen, ist sie eher grau. Sie macht mit ihren Protektoren eine breite Hüfte, Knie-Hartschalen aus dem Endurobereich und dicke fette Schienbeinschützer wurden mal nachgerüstet und eingenäht. Das Ding zusammen mit den stabilen großen Daytonas hat mich ganz sicher vor schwereren Gelenkverletzungen an Knie und Fuß bewahrt.

Merkt's euch: Nie ohne Lederhose und Rückenprotektor!

Während ich so in Dankbarkeit an meine hässliche Hose dahinschmolz, war sie auch schon runter.

Jetzt die Fotos. Der ältere Graukittel mit der großen schwarz geränderten Kulleraugenbrille lebte wohl hier unten im Röntgenreich. Also war's doch nicht der Hausmeister. Er schob mich in sein Labor und sagte beim Anecken, Ausrichten, Plattenhinlegen, Keimzellenabdecken und Schalterstellen immer nur "oh, oh!" - sonst kein Wort. Extrem langsame, bedächtige Bewegungen mit auffällig langen Innehaltungssequenzen. Ich glaube, hier darf keiner rein - nur er darf die Apparaturen bedienen, er macht sie auch selbst sauber, wartet sie, und wenn er mal seiner Mutter Blumen bringen muss, bricht sich auch niemand die Knochen.

Zurück im Behandlungsraum sahen sich Houdini und ich die Röntgenaufnahmen an. "Operation!" meinte er. Als Laie hätte ich das auch gesagt. "Wo?" fragte er. Ich. "egal". Er: "ADAC? Dann besser in Deutschland". Na gut.

Der Fall: Episode 4

Während der Lieferanteneingang hinterm Haus näher kam, kamen auch die Erinnerungen an die letzten Tage. Nein, dass jetzt das Leben im Zeitraffer durchgespult wird, wird nur in billigen Romanen kolportiert.

Ich kam in der Nacht zum Donnerstag nach der Arbeit angedieselt, habe es mir irgendwo am Penser an einem Seitenweg mit einem Glas Roten und Schlafsack neben der Buell hinten in der Klempnerkiste gemütlich gemacht, noch ins Tal hinabgeblickt und -geschifft und bin dann selig eingeschlafen.

bratfertig zum Lustfahren

Drei Tage Lustfahren waren geplant, die ich mal ohne Rücksicht auf eine Gruppe ausleben wollte. Rauchpausen machen jeden Flow kaputt. Auch meine Liebste hat's mir von Herzen gegönnt (sie hatte andere Termine).

In der Frühe im Hotel eingecheckt und ab auf die Pisten. Ritten, Jenesien zum Warmfahren, die kleinen Straßen zwischen Wein und Obst, die Wassermühlenschlucht bei Fondo, Glück gehabt am eigentlich gesperrten Mendola, der gerade zur Rennstrecke ausgebaut wird.

Das Treffen mit Pascal fiel aus. Seine Petra ist noch frisch auf Krad und hat noch Freude an kurvenfreien Straßen. Ich nicht so. Freue mich aber auf ihren Reisebericht. Die, die Neues gerade erst erlebt haben, schreiben am Besten.

Der Vito-Gleiter landete in der Tiefgarage, der Turbo drehte runter und die 4-Mann-Besatzung startete auch nicht wieder gleich durch, sondern wollten erst einmal wissen, dass ihre Ladung hier auch gut aufgehoben ist. Vielleicht warteten sie auch auf ihre schöne HighTech-Trage.

Luigi verabschiedete sich dann mit einem Klapps auf die Schulter, was auch als rustikaler Hinweis auf Zerrungen und Prellungen auf den darunter befindliche Skelettapparat deutbar wäre.

Dann wurde ich ins dunkle Reich geschoben.

Der Fall: Episode 3

Mit Hightechkram (sah aus wie mein gemütlicher Styroporkrümel-Sitzsack, aus dem die Luft gesaugt wird) fixierten sie das willenlos rumbaumelnde Bein, Schoben links und rechts neben mir 2 sehr ästhetisch designte Alu-Teile zu einer Trage zusammen und schnallten mich fest.

Endlich konnte ich das Grasbüschel loslassen, mit dem ich mich bislang in Position hielt. Sechs Mann versuchten, den wirklich sehr, sehr steilen Hang mit mir hochzukommen und ich verspürte das Bedürfnis, wieder den Helm überzustülpen.

Ohne weitere Abgänge lag ich dann im Wagen. Die Schlitze über den Milchglasscheiben gaben den Blick frei auf das vorbeiziehende Bilderbuch-Alpenpanorama. Luigi erzählte von der Eisdiele seines Schwagers in Bochum, wo er vor 12 Jahren mal für 3 Tage war. Und er bemühte sich, hier und da ein deutsches Wort einzuflechten. Trotzdem war fast alles zu verstehen und er war ein angenehmer Reisebegleiter.

Der Meister am Vito-Volant hat das Hin- und Hergefliege in den Kurven fast weggezaubert. Immerhin musste er den Passo di Giau auf der schnellkurvigen Seite wieder rauf, auf der Fitzelkurvenseite wieder runter, über den Passo Pocol und dann noch die Kurven zum Krankenhaus rauf, das wie ein Kurhotel aussah.

Wurden hier in Cortina d'Ampezzo nicht Szenen des James Bond gedreht, in denen die Bösen mit Yamaha XT500 mit MGs in den damals noch recht großen Blinkern James und seine Gespielin über die Skipisten jagten?

Der Fall: Episode 2

Ein italienischer Motorradfahrer, der etwas deutsch sprach, war mit Almbauer und noch einem Italiener unten. Von oben gafften unterdessen Beiker aus ihren rot-schwarzen oder schwarz-blauen Goretex-Blasen. Die Zeit bis zum Einteffen des servizi di soccorso musste überbrückt werden und ich brauchte Material zur Absicherung meiner eigentlich bombenfesten Theorie, weshalb ich hier rumlag. Also mal nach oben gefragt, ob einer deutsch spricht. Logisch - alle, so wie die aussehen. Schreck! Huch, es spricht!

Ja Jungs, wird sind hier nicht im Theater- hier macht das Publikum mit! Naja, einer war dann doch kommunikationfähig. Dem erklärte ich, wo im TaRuSa die Knipse lag und wenn sie noch funktionierte, solle er mal ein Gigabyte verbraten. Danke an den Herren, ich habe jetzt gesehen, was ich wollte - Aufnahmen sind was geworden. Nur wie kaputt die Buell auf der linken Seite ist, weiß ich nicht.

Ganz anders als die im Würgegriff eines Großkonzerns befindlichen ADAC-Ladies in Mailand war der Auftritt der Jungs vom Rettungsdienst, die hier weitab größerer Siedlungen schon nach 30min mit ihrem Vito-Raumschiff aufkreuzten. Die kannten ihren Job, waren gut ausgerüstet und nicht durch "Info-Systeme" zu Handlangern praxisfremder SQL-Fummler degradiert. Im Winter schienen sie Skifahrerknochen, dazwischen bergen sie geknickte Knöchel an Knickebockerkameraden und im Sommer werden Motorradfahrer eingesammelt, die sich nicht mehr innerhalb der Fahrbahnmarkierungen befinden.

Der Fall: Episode 1

Der Fall: Episode 1

Ein Unfall im Ausland schleuderte mich in einen bis dato völlig unbekannten Kosmos - in das Gesundheitswesen. Und erstmals musste ich erleben, dass ich ohne die Hilfe Anderer hilflos bin.

Der einzige flüchtige Gedanke daran führte vor unendlich langer Zeit zum Abschluss einer privaten Krankenversicherung und der ADAC-plus-Mitgliedschaft. Dann kann ja nix passieren, wenn etwas passiert.

Jetzt ist es passiert.

Da die einzige Abwechslung im Krankenhaus der PDA ist und es diesen auch nicht zerschmettert hat, vertreibe ich mir jetzt die Langeweile mit Geschichtenerzählen. Das hat zwar nur bedingt mit Buell zu tun und ist nicht so existenziell wie X1-Elektrikprobleme, dafür sind die Beiträge zum einfachen Nicht-Lesen deutlich gekennzeichnet Und nicht rechtschreibgeprüft.

Zurück zum "Fall":
Bewunderung stieg auf angesichts der aufgebauten Systeme. Während ich noch 20 Meter unterhalb der Passstraße im Staub lag, fummelte ich, bevor mich diverse Prellungen bewegungsunfähig machten, die ADAC-Mitgliedsnummer raus und gab den genauen Ort zur Sicherstellung des Fahrzeugs durch. Ein Almbauer alarmierte bereits die Ambulanza.

Der ADAC rief gleich wieder zurück und ich erklärte alles ein zweites Mal (ich hatte ja Zeit, lag bequem und konnte mich mit den gebrochenen Knochen Dank der Hilfe Einheimischer gerade so am Hang halten). Begründung für den Rückruf: Der Datensatz mit meinen ersten Infos wäre wohl unauffindbar. Schön, dass da doch noch ein Mensch war, der bemerkt hat, dass die Daten verschwanden. Sonst stünde noch in 10 Jahren eine krumme Metallplastik mit Kunststoffapplikation, geschaffen vom unbekannten Künstler, in Tornante 12. Fazit: Engagierte Mitarbeiter, Infosystem offensichtlich schwach, weil für die Bediener nicht nachvollziehbar.